Bewegungsprogramm "Fitness kennt kein Alter"

Frau B. (71) steht mit ihrem Mann (75) vor ihrer zukünftigen Trainingseinrichtung mit Blick auf den Rhein und wirkt etwas verunsichert. „Ob das wohl etwas für uns beide ist?“, fragt sie kurz vor den Eingangstestungen. Ihr erklärtes  Ziel ist es, „solange wie möglich zu Hause wohnen bleiben und den Alltag weitgehend alleine und selbstbestimmt gestalten zu können“. „Ich bemerke immer mehr Unsicherheit auf den Beinen, und das Einkaufen fällt auch nicht mehr so leicht“ wirft ihr Mann ein. Nachweislich haben Sport, Bewegung und körperliche Aktivität positive Effekte auf motorische Faktoren, die Fähigkeiten zur Bewältigung der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL)und damit erfolgreichem Altern. In zahlreichen wissenschaftlichen Studien ist dies belegt und könnte auch dem Ehepaar B. helfen.

Um erfolgreiches Altern innerhalb der Sportvereine des SBR zu ermöglichen, wurde „Fitness kennt kein Alter“ gemeinsam mit dem Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie der Deutschen Sporthochschule Köln entwickelt und hinsichtlich seiner Auswirkungen überprüft. Es besteht aus einem kraft- und koordinationsfördernden Bewegungsprogramm, welches die Alltagsbewältigung und Alltagsmotorik verbessert, bzw. erhält. Die Übungsstunden bestehen immer aus einem variablen Koordinationstraining sowie einem definierten Kräftigungsteil. Im Hinblick auf die Effektivität eines Muskel-Aufbautrainings wurde ein Ein-Satz-Training bei langsam, kontrollierter Bewegungsgeschwindigkeit bis zum Punkt der momentanen Muskelermüdung bei 10-15 Wiederholungen durchgeführt. Es war Aufgabe der Übungsleitung, die Teilnehmenden (TN) so zu motivieren, dass in möglichst jeder Übungsstunde ein notwendiger Trainingsreiz gesetzt wurde. Alle TN waren in der Lage, selbstständig die Übungsstätte aufzusuchen und Übungen auf dem Hallenboden durchzuführen. Techniken zum Wiederaufstehen wurden im Bedarfsfall vermittelt.

Die Eheleute B. gehörten zu den 67 TN (30m/37w) aus fünf  Sportvereinen des SBR, die an der Intervention teilnahmen. Alle TN wurden unter identischen Bedingungen sowohl vor Trainingsbeginn (T0) als auch nach zwölf Wochen Intervention (T1) mittels standardisierter, motorischer Testverfahren in vorher festgelegter Reihenfolge getestet. Die TN waren durchschnittlich 72,6 Jahre alt, knapp 170 cm groß und hatten ein mittleres Körpergewicht von 78,5  kg. Bei den Männern war das Durchschnittsalter mit fast 74 Jahren leicht höher als bei den Frauen (71,5 Jahre). Ein Teil der Probanden trainierte einmal pro Woche (G1), der andere Teil (G2) zweimal wöchentlich für jeweils 60 Minuten. Zwischen den beiden Gruppen gab es keine statistisch signifikanten Gruppenunterschiede.

Die Ergebnisse

Zur Auswertung konnten nicht alle TN herangezogen werden, da insbesondere bei G2 einige TN zu häufig fehlten. Hinsichtlich der körperlichen Leistungsfähigkeit der Interventionsteilnehmer lassen sich die Ergebnisse wie folgt zusammenfassen: Die Probanden verbesserten sich im Mittel über den gesamten Untersuchungszeitraum deutlich. Die  Kraft wurde mittels fünfmaligen Aufstehens von einem Stuhl (Chair-Rising-Test), dem Arm-Curl-Test und dem Handdynamometer getestet. Es konnten Steigerungen von 56 % im Bereich der Armmuskulatur und 24% im Bereich der Beine gemessen werden. Die Gleichgewichtsfähigkeit wurde durch verschiedene Tests überprüft. Hier zeigten sich je nach Test mittlere Steigerungen von 47 % (Parallelstand). In puncto Beweglichkeit steigerten sich die Probanden um 23 % im Back-Scratch-Test. Diese überragenden Ergebnisse sind nicht nur Ausdruck der Trainierbarkeit von Älteren. Sie drücken auch die Effektivität und die Ganzheitlichkeit des Programms „ Fitness kennt kein Alter“ aus.

Hinsichtlich der Trainingshäufigkeit (1 Mal vs. 2 Mal/Woche) bei gleichem Trainingsprogramm und daraus resultierenden stärkeren Verbesserungen konnte ein direkter Zusammenhang nur beim Chair-Rising-Test festgestellt werden. Die Probanden aus G2 verbesserten sich signifikant, die Probanden aus G1 hingegen erzielten keine signifikanten Verbesserungen. Dies legt nahe, dass ein 2 Mal/Woche durchgeführtes Training die Kraftfähigkeit der Beinmuskulatur effektiver steigert als ein 1 Mal/Woche durchgeführtes Training.

Neben Verbesserungen der motorischen Fähigkeiten ist bei einem Gruppentraining auch das subjektive Wohlbefinden wichtig. Betrachtet man die Ergebnisse, so zeigt sich, dass zu Beginn der Intervention (erste Einheit) keine Steigerung des subjektiven Wohlbefindens zu verzeichnen ist. Nach 12 Wochen Training ist das subjektive Wohlbefinden aller Teilnehmer nach einer Trainingseinheit spürbar und messbar gesteigert. Bezieht man nun die Ergebnisse der VAS vor und nach jeder Stunde mit ein, so fällt auf, dass sich nur  TN aus G 2 nach der Trainingseinheit signifikant besser fühlten.  Dies legt den Schluss nahe, dass das zweimal wöchentliche Training eher als stimmungsverbessernd wahrgenommen wird. Aufgrund der erhöhten Trainingshäufigkeit kommen vermutlich verstärkt gruppendynamische und soziale Prozesse zum Tragen, die zu einer positiveren Stimmung beitragen.

Das Fazit:

13 Wochen später.  Die B.´s kommen mit ihren Fahrrädern zur Abschlusstestung. Schon von weitem winken sie den anderen wartenden Teilnehmern zu. „Ob wir uns wirklich verbessert haben?“, wird in die Runde gefragt. „Natürlich haben wir das“,  ruft einer, „das merke ich doch im Alltag“. Auch Herr B. sagt, dass er beim Tragen der Einkäufe keine Schwierigkeiten mehr hat und Treppen steigen auch wieder einfacher geht. „Die Testungen jetzt?“ „Die sind mir egal. Ich weiß doch, was ich nun alles wieder kann“. Die Äußerungen vor der Testung bestätigen sich auch nachher. Und das nicht nur in dieser Gruppe.

Die TN profitieren von den positiven Veränderungen der motorischen Fähigkeiten wie Koordination, Kraft und Beweglichkeit. Das Training leistet einen Beitrag zum Erhalt der Alltagskompetenz und Mobilität. Auch das 1 Mal/Woche durchgeführte Training in Kursform führt zu Verbesserungen in allen Bereichen der Motorik. Es erscheint sinnvoll, ein solches Training gerade für Sportanfänger anzubieten. Sie werden ohne Überforderung und mit niedriger Einstiegshürde an den Sport herangeführt. Langfristig gilt es, die TN zu dauerhaftem Training zu motivieren. Ideal wäre die Übernahme in bereits bestehende Vereinsgruppen, die 2 Mal/Woche trainieren. Sollten TN trotz aller Motivationsversuche und entgegen den Empfehlungen nur 1 Mal/Woche trainieren wollen, sollte auch dies möglich sein. Hier muss der Leitsatz gelten: Einmal ist besser als kein Mal.

Die Vermittlung von theoretischem Hintergrundwissen sollte ein Bestandteil der Trainingseinheiten sein. Insbesondere Trainingshäufigkeit und Dauerhaftigkeit von Training sind hierbei hervorzuheben. Notwendige Belastungssteigerungen, durch erhöhte Arm- und Beingewichte, sind zu realisieren. „Fitness kennt kein Alter“ wird von der Gruppe der über 70-Jährigen sehr gut angenommen und positiv bewertet, weshalb es das Angebotsspektrum der Sportvereine erweitern kann und der immer größer werdenden Gruppe der über 70-Jährigen zur Verfügung stehen sollte. „Natürlich machen wir weiter, gar keine Frage“. „Wir sind ja nicht nur fitter geworden, wir haben auch neue Freunde gefunden“, sagen Frau und Herr B. unisono, während sie ihre Räder aufschließen. „Kommt gut nach Hause, und bis nächste Woche“, ruft Hans M. hinterher. Er ist einer der beiden Übungsleiter und im gleichen Alter.